Dienstag, 28. August 2012

Wollwürste

... Du sollst beim Mahle nicht
Einsiedler sein, auf einsam schweifender
Gedankenfahrt: ein dich Begreifender, 

...
aus Georg Brittings Gedicht »Das gute Mahl«.

http://de.wikipedia.org/wiki/Wollwurst
   Dessen gedenkend ging ich auch des Abends in die Wirtsstube der Post. Nur eine Kleinigkeit zu essen war mein Begehren, hatte ich doch mittags schon gut gegessen.
   Mein kleiner Tisch, an dem ich sonst immer zu sitzen pflege, war durch einen neuen, größeren ersetzt worden, was ich bedauerte, obwohl sich der junge neue zwischen den vielen alten gut ausnahm.
   Die Speisekarte kenne ich schon auswendig, ein kurzer Blick ließ mich bei den Wollwürsten mit Kartoffelsalat hängen, bei denen schon der niedrige Preis auf keine allzu große Portion schließen ließ. Ein Bier dazu, dacht’ ich, grad recht. Die Bestellung war schnell aufgegeben und mein I-Pad geöffnet, zum Empfangen und Senden was noch zu schreiben war. So dort sitzend kennt man den Alten schon, der zum Inventar des Hauses gehört und entsprechend gut behandelt wird.
   »So, jetzt wird gegessen und nicht geschrieben«, hörte ich die Wirtin sagen, die mir die Würste selber brachte und mir lachend guten Appetit wünschte. Für fünf Euro zwanzig eine erstaunliche Kreation von weißen Würsten in gelbem Salat mit roten Tomaten, grünen Gurkenscheiben und süßem Senf garniert, den ich da genussvoll betrachtete, als ich mich plötzlich beobachtet fühlte.    In gut fünf Meter Entfernung sah ich eine Frau, leicht vorgebeugt, mich betrachten. Als sie meinen Blick empfing, verbeugte sie sich mehrmals noch tiefer und näherte sich mir mit vorsichtigen Schritten. O weh, dachte ich – mein schlechtes Personengedächtnis verwünschend – wer ist das nur? Nun, da sie mir nähergekommen war, erkannte ich, dass es eine Japanerin war. Nicht mehr gerade jung, eine reife Lotusblüte mit dem Charme verblühender Schönheit, sehr klein – und, ach ja, sich immer wieder verbeugend, dass es mir schon peinlich wurde. »Was ist es nur, was sie bei mir so interessiert?« grübelte ich so vor mich hin, in den wenigen Sekunden, die so eine Begegnung dauert, und »woher kennt sie dich?«. Es wird mein I-Pad sein, der sie interessiert, doch dem würdigte sie keinen Blick, und in meiner Verwirrung dachte ich, werden’s halt die Wollwürst’ sein. So erklärte ich ihr, die aufmerksam zuhörte, was Wollwürst wären, dass sie nicht aus Wolle seien und auch nicht gestrickt würden, es eine bayerische Spezialität eben, die ich ihr anempföhle.
   Geduldig, aufmerksam und in respektvoller Haltung hatte sie das alle angehört und sich dann dankend und langsam rückwärts schreitend mit vielen Verbeugungen entfernt.
   Beim Verzehr der Würst’ ging mir dann durch den Kopf, was aus der Kiste von Bildung und Lebenserfahrung erst langsam heraus gekramt werden musste, und im Stillen verfluchte ich die Wollwürst’, die ich bei so einer sakralen Handlung der Altersverehrung als Opfergabe zu sehr gepriesen zu haben meinte. So entschloss ich mich, beim Heimgehen noch ihren Tisch aufzusuchen, um ein paar bessere Worte zu finden, die im Schatzkorb dieser Dame den Weg nach Japan finden könnten.
   Am Ende des Raumes – hinter mir – fand ich sie dann, die mich huldvoll anlächelt, im Kreis von zwölf Japanern, die sich auf gleiche Weise verbeugend meinen Abschiedsgruß erwiderten.
Zu einem Gespräch kam es leider nicht mehr.
   Sie alle aßen Wollwürst’!
   Am nächsten Morgen fand ich dann in der lokalen Presse einen Bericht über einen im Schloss Amerang stattgefunden habenden Disputs über Seniorenfragen und dazu einen Beitrag eines japanischen Professors über die Tradition der Altersverehrung.
Das ist bayerische Küche, das sind Wollwürst’,
wie sie die Post in Rohrdorf zu bieten hat,
in der es die einzige Köchin (Margit) der Welt gibt,
die (eigenhändig) mit der »silbernen Rose«
ausgezeichnet ist! – Foto Schuldt
   Ein Anruf im Hotel zur Post mit dem Versuch, noch einen Kontakt herzustellen, blieb leider ohne Erfolg. Welche Bedeutung nun die Wollwürst’ in Japan bekommen haben, weiß ich nicht. Für mich werden sie für immer mit dieser Begegnung verbunden bleiben.

Hier »Wollwürste mit Grünkohl-Meerrettich-Salat und Walnüssen«  von Alfons Schuhbeck. Grünkohl in Bayern? Fremd ist das wie ein bayrisches »Tschüss« oder »Hi« als Gruß, statt »pfiat Gott« (behüte dich Gott) oder »Grüßdi«, neu wie »Schorle« im Biergarten statt einem »g’spritzten Apfelsaft«. Mit Kren dran (vulgo »Meerrettich«) mag Grünkohl noch gehen, den man anasonsten stilecht mit Pinkel genießt, aber halt nicht in Bayern. Sagt fj.

PS. Was ein »Preiß’« blauäugig unter Wollwürsten versteht, sehen Sie hier:
Nationales Strick-Kopfband
(Von hier: »Man braucht: Strickliesel, drei verschiedenfarbene Wollknäuel. Drei verschiedenfarbige Wollwürste stricklieseln, diese flechten und hinten zusammenbinden.«