Montag, 27. August 2012

Wie man sich beim Küssen näher kommen  kann!

Die Zirbelstube in der Rohrdorfer Post gibt es eigentlich gar nicht, ich nenne sie nur so, weil die Wände dieser kleinen Stube mit Zirbelholz verkleidet sind, was eine angenehme Atmosphäre verbreitet.
   Aber was gibt es nicht alles, was es eben doch gibt!
   Nun bin ich 92 Jahre alt geworden, und habe eben in jener Zirbelstube entdeckt, was viele wissen – so, wie viele diese Stube kennen, aber eben nicht mit diesem Namen, wenn denn überhaupt mit einem.
   Stube ist Stube und Küssen ist Küssen, basta, so einfach ist die Welt!
   Dass man sich aber beim Küssen näher kommen kann, das hatte ich bisher noch nicht gewusst!
   Die Stube ist in zwei ungleich große Teile geteilt. Vorne der Eingang mit einer Garderobe und dem Servier- und Kassentisch, dann an der Fensterseite nur zwei Tische, ein großer runder, an dem wir einst, vom Bürgermeister eingeladen, den neunzigsten Geburtstag meiner nun verstorbenen Frau gefeiert hatten, und ein ganz kleiner, für eine oder zwei Personen sehr gut geeignet, an den ich meine Frau im Rollstuhl noch brachte. An diesem sitze ich nun oft, meistens alleine, aber auch schon mit vielen Damen, die mir beim Mahl Gesellschaft leisten und mit denen es gut Reden ist.
   Heut’ saß ich wider alleine dort, das Fenster hinter mir natürlich offen, und da es immer wieder zufiel (was nichts mit Zufall zu tun hat, sondern dem Wind), hatte ich es mit einem antiken Gewicht, einer zur Dekoration aufgestellten Waage, gesichert. So ließ es sich hier gut aushalten; so gut, dass ich zum Nachtisch noch ein Eis und einen Kaffee bestellte. Mit meinem I-Pad auf dem Tisch war ich so in einen Brief versunken, den ich schrieb, dass ich es gar nicht bemerkt hatte, dass sich am runden Tisch ein Pärchen reiferen Alters niedergelassen hatte, das sich jedoch alleine genug zu sein schien.
   Was es zu verzehren gab, das war verzehrt, der Brief war abgeschickt per E-Mail, die Rechnung war bezahlt, und weil’s mir so gut gefiel, machte ich noch ein paar Aufnahmen von der Stube. Dann klappte ich die Tastatur aufs I-Pad, nahm meinen Stock, stand auf und drehte mich noch zu dem runden Tisch um, den ich die ganze Zeit im Rücken hatte, um mich mit einem Gruß zu verabschieden. Da sah ich das Paar sich küssen. Nicht in der Art, wie man es vom Kino oder Fernsehen her kennt – die wollten ja schließlich auch noch essen, von jener schönen lieben unschuldigen Art des sich Gernmögens, ja, auch der Liebe.
   Ich sagte nun: »Da habe ich ja meine Kamera zu früh geschlossen«, was sie lachend bejahten und sagten, »für Sie küssen wir aber gerne noch einmal!« Ich nahm das Angebot nicht an, bemerkte nur: »Beim Küssen kommt man sich halt näher!«, womit das Gespräch eröffnet war. –

25. August 2012
Nein, ein heißer Tag war das heut nicht!
Die Spuren der Hitze aber waren noch all zu deutlich.