Liebe Marion, jetzt habe ich schon die Kraniche an den Chiemsee gedichtet.
Auch diese waren einst Boten, wenn auch nicht hermesgleich, so doch Überbringer negativer Botschaft. Das ist nachfolgend korrigiert. Hinzu kamen noch ein paar Ausschmückungen
(Lichter aufsetzen nennt man das).
Begegnung am Chiemsee
Liebe Marion,
heute Vormittag
ereichte mich der Anruf einer Frau, die ich erst im April durch Fritz Jörn
kennen gelernt hatte. Wir hatten uns zweimal getroffen, und es gab gute
Gespräche und gegenseitige Sympathie. Ich nannte sie sogleich bei ihrem
Vornamen Helga, was sonst nicht meine Art ist. Ihr Schicksal hatte mich
berührt, sie hat alle Angehörigen verloren, darunter ihren Vater, der bei einem
Autounfall ums Leben kam. Das Auto hatte sie gesteuert, und erst nach einem
dreijährigen Prozess wurde sie von der Anklage der fahrlässigen Tötung
freigesprochen.
Sie sieht gut aus,
hat aber keinen Mann abbekommen. Ob sie zu anspruchsvoll war oder was immer es
auch für Gründe gewesen sein mögen, für diesen Zustand, das weiss ich nicht.
Sie ist intelligent, offensichtlich aus gutem Haus, hat aber
verständlicherweise ein weinig stabiles Seelenkorsett. Auch auf ihre Gesundheit
scheint sie nicht mit der angebrachten Gelassenheit und Selbstvertrauen zu achten,
zum Wohl der Ärzte.
Sie also rief mich
an, um sich mit mir zu verabreden. Weite Strecken fährt sie nicht mehr mit
ihrem Auto, und da sie in Staudach wohnt, verabredeten wir ein Treffen in einer
Gastwirtschaft am Chiemsee in der Nähe von Übersee-Feldwies.
Dort trafen wir uns
ein weinig verspätet, da ich das Lokal nicht gleich gefunden hatte. Es
ist ein wundervoller Platz am Ostufer des Chiemsees, wo man unter hohen Bäumen
direkt am Ufer sitzt, mit dem Blick auf die westlich vorgelagerten Inseln, die
Herren und die Fraueninsel, mit der dazwischen liegenden Krautinsel, die nicht
bewohnt ist.
Ein bissl fremdeln
war bald überwunden, und ich erfreute mich ihrer guten Sprache und Stimme. Mein
immer vorhandenen Optimismus und meine Lebensfreude mit der mir verliehenen
Gnade des Parlierens wirkte ganz offensichlich positiv, was dazu beitrug, den
Tag zu verschönen.
Mir gefiel es nicht
ganz, da der Aufenthalt in so schöner Umgebung die Konzentration aufs Gespräch
mindert. Dazu kommt, das es für den Ipad einfach zu hell ist, und auf dem
befindet sich doch immer etwas, was zur Unterhaltung beiträgt. So konnte ich
die Neugier nur auf Themen für die Wiederholung eines Treffens lenken, bei der
sie mich dann auch Hans nennen wird, wie wir das zum Abschied beschlossen.
Sie ist ganz
untechnisch, es reicht bei ihr zuhause gerade noch bis zum Telefon. Damit
ergeben sich ganz andere Perspektiven der Kommunikation, weil ich ungern
telefoniere. Also Dialog.
Warum schreibe ich
Dir das, liebe Marion? Weil Du mir eine so gute und liebe Freundin bist, der
ich gerne mitteile, was ich erlebe. Natürlich sind das keine Amouren, aber es
sind halt doch Begegnungen zwischen Mann und Frau, und die sind immer anders
als die mit Männern, so es denn noch solche gibt.
Übrigens war die
Bedienerin so reizvoll und aufmerksam, dass sich schon deswegen ein Besuch dort
lohnte. Wäre ich jünger, zur Abendzeit, wenn die Sonne im Chiemsee versinkt und
den See in rote Farbe aller Schattierungen und Nuancen taucht, wenn die
Kormorane aus dem Delta der Tiroler Ache ihr Nester aufgesucht haben, wenn an
den Ufern des Sees sich tausend Lichter entzünden und sich flimmernd im Schwarz
des Wassers spiegeln, wenn dann der Mond sein silbernes Licht mit der Kühle der
Nacht mischt, wenn das Windlicht brennt, die Gespräche verstummen, wenn nur
noch der Wein sonnengold und verführerisch funkelt? Wie wärs? ... wenn ich
junger wär, um den Satz zu beenden, nicht aber den Gedanken, glüht solcher doch
auch in einem alten Herz, nach anderem Verlangen, als dem der Jugend aber nicht
weniger schön.–
Aber ich kann in
der Nacht nicht mehr fahren, müsste also dort übernachten oder eine Freundin
mit Auto haben.–
Hermes (Wikipedia) |
Ach, zwei Frauen
sind es nun, die mir von solchen Abenden hier am Chiemsee mit ihren alten
Müttern erzählten, die eine ist jene Helga, die andere Frau Halmer, deren
Mutter dort in einem nahe gelegenen Altersheim lebte. Beide Mütter sind tot,
sind im Hades, den ja auch Dein Hermes*) kannte; denke nur an Orpheus und
Euridike! Der Hermes ist der Gott der Kaufleute und der Diebe, lies mal in Wikipedia nach, was
der Kerl sonst noch alles so trieb. Wenn schon griechische Mythologie, dann
wüsste ich was Besseres für Dich – aber eben nur Besseres, was ja noch nicht
Gutes ist. Und: Wenn schon der Hermes ein Götterbote ist, was bin dann ich? Ist
doch für einen jeden der Bote willkommen, der das verkündet, was man sich
wünscht. Doch was wünscht man sich denn wirklich, wenn’s nicht gerade das
Opportune ist? –
Was Du vom Streit#) und den ehelichen Belastungen des Alltags schreibst, ja,
Marion, leider ist das so! Man kann es aber überwinden, wenn man die Schuld –
die ja fast immer bei beiden liegt – zuerst bei sich selbst sucht, und so zur
schnellen Versöhnung bereit ist.
Was gibt es übrigens Schöneres als Versöhnung? Wer ganz raffiniert ist, fängt
schon deshalb einen Streit an! Ja, das bleibt mir nun versagt – aber schön war
es ja doch jedesmal, die Versöhnung!
Nun aber heißt es
zu Bett zu gehen. Staatstrauer ist angesagt erfuhr ich gerade, wenigstens drei
Tage. Und wehe dem, der jetzt noch nach Italien fährt.
Wir jedenfalls,
liebe Marion, bleiben am Ball, selbst wenn wir mal im Abseits stehn! Weisst Du
was das ist?
Bald einmal verrät
Dir das, Dein alter (aber jünger werdender) Hans.
*) Marion hatte Hermes in einem
Brief als ihren Götterboten bezeichnet.
#) Es handelt sich um ehelichen
Streit im allgemeinen Sinn, also keinem speziellen, von dem hier die Rede ist.