Freitag, 25. Januar 2013

Goldrand am Glas. Immer etwas kitschig. Foto Jörn
Die Weingläser mit Goldrand
Ein mystische, schon mehr als weinbeseelte Geschichte

Eine Spätlese sei ich, sagte ein Freund, der mich besuchte.
   Es ist einer von jenen, mit denen man vortrefflich – auf höchsten Niveau – streiten – und sich versöhnen – kann, der aber –  wie ich auch – weiß, dass zu guter Letzt immer nur einer Recht haben wird – und dass das nicht immer einer von uns beiden sein muss.
   Um zu solcher Erkenntnis zu kommen, bedarf es oft eines langen Kampfes, bei dem die Gemüter mit Wein gekühlt und zu neuer Kampfeslust erhitzt werden müssen. Das alles vollzieht sich nicht im heißen Gefecht – was nicht ausschließt, dass die Wogen auch mal Schaumkronen tragen. Wie bei Ebbe und Flut fließt das brandende Wasser unter all dem Schaum wieder mäßigend zurück.
   Nun gut, es galt ihm zu widersprechen: »Eine Spätlese, mein lieber Freund, die bin ich nicht, da irrst du, wie kommst du auf so eine Idee?« – »Das ist doch ganz einfach: ›In Vino Veritas‹. Du hast Mme. Veritas spät gefunden, und so bist du eine Spätlese!« – »Aber, mein Lieber, Veritas ist nicht nur in der Spätlese, sondern auch in allen anderen Stadien und Prädikaten«, gab ich zu bedenken, bis er sagte: »Trotzdem: Ein ›Heuriger‹ bist du doch nun wirklich nicht.« Dem stimmte ich zwar zu, aber mit dem Hinweis, dass auch für Heurigen der Veritas-Spruch gilt.
   Wir hatten nun alle Prädikate wie Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese bis zum Eiswein für einen passenderen Begriff für meine Person durchkostet (symbolisch nur) und dabei hatten uns auch angehört, was Britting in seinem »Lob des Weines« zum Thema zu sagen wusste:

Labsal des Alters

Weißer Wein, der unruhig übers Glas drängt,
Perlend wie der Wortschwall der Mädchen, wenn sie
Aug in Auge mit dem Ersehnten ihre
Liebe verbergen,

Honigfarbner, koboldisch glühend, wenn der
Taumel rast bei Hochzeit und Taufe, mondschein-
Gelber, zarter, voll von Empfindung wie der
Vers eines Dichters,

Und der grüne, Hoffnungen weckend, grün wie
Morgenduft des kommenden Freudentages,
Ist der rechte Trunk für die Jugend, für die
Glänzenden Männer.

Doch der rote, Herz und die Glieder wärmend,
Dunkler, aus der Landschaft Burgund, der süßen,
Oder sanfter Wein von Bordeaux gehört den
Späteren Tagen,

Der schon still verzichtenden Weisheit – nicht zu
Sprung und Taten reizt er das alte Blut, er
Gibt ihm, das schon langsamer hinrollt, Kraft und
Schönes Gefälle,

Macht das ungesellige Zimmer rosig,
Bringt die schon gegangenen Freunde wieder:
Glück des grauen Hauptes, das einsam hinlebt,
Labsal des Alters!  

Ein passendes Prädikat für die gesuchte Bezeichnung einer Person war auch hier nicht zu finden, nur zwei passende Zeilen – es sind die beiden letzten. Die aber geben keine Namensbezeichnung.
   Mein Freund hatte das mit einem alten Rotwein gefüllte Glas erhoben, hielt es nachdenklich gegen das Licht und bemerkte plötzlich: »Das Glas hatte ja einmal einen Goldrand.«, dazu sinnierte er poetisch: »Verwehte Spuren glücklicher Zeiten …«. Mir hingegen lief es eiskalt über den Rücken, nie hatten wir Gläser mit Goldrand, immer nur glasklare ungeschliffene, um dem Wein nicht den optischen Reiz zu rauben! So hob denn ich auch mein Glas – und oh Wunder, auch er (der Wein oder das Glas oder gar der Freund, fragt ironisch, doch lieblos nicht, der Redakteur, aber das ist zu dieser fortgeschrittenen Stimmung schon egal! fj) wies Spuren der goldenen Vergangenheit auf! Auf die tranken wir. In goldenem Licht alter Zeiten stiegen sie empor – weintrunkene Erinnerungen.
   Als es mir so eiskalt über den Rücken lief (und das beim Wein! fj), fiel mir ein passendes Prädikat ein: Eiswein! Ja, der passt! Er ist die Endstufe. Es sind die Trauben der Beerenauslese, die so lange am Rebstock bleiben müssen, bis sie bei Dauerfrost von mindestens sieben Grad (unter Null) gefrieren. Es zeichnet sie eine harmonische Balance von reifer Fruchtsüße und animierender frischer Säure aus und »ein wenig Bitteres darf auch dabei sein«!   
   Die Ränder unserer Gläser verfärbten sich an diesem Abend noch mehr, es war ein harmonischer Abend – ich habe ihn jedoch nicht so genossen, wie ich es getan hätte, wären nicht Spuren vom Goldrand zu sehen gewesen, wie jetzt, da er gegangen ist, und ich die Gläser gründlich abgewaschen habe.
   Es bestätigt sich hiermit wieder, was Britting sagte: »Kein Bild ist Betrug«!

Montag, 21. Januar 2013

Als Lebenszeichen ein Traum

Du hast mich vor gar nicht so langer Zeit einmal gefragt, ob ich noch manchmal von meiner Frau träume? Und da wir über Geistiges gesprochen hatten, verstand ich die Frage dahin gehend, ob sie mir noch manchmal im Traum erschiene, als Geist. Hieraus ist zu erkennen, dass die Bedeutung von dem abhängt, was gerade präsent war!

Auch ein Klaglied zu sein in Mund der Geliebten, ist herrlich,
Denn das Gemeine geht klaglos zum Orkus hinab.
                                                                            Aus Schillers Nänie
Das goldene Dachl in Innsbruck
Dir will ich nun erzählen, was und wovon ich geträumt habe:
   Wir saßen in der äußerst gemütlichen Tiroler Stube vom Wirtshaus »zum wilden Mann« in Lans. Das Feuer im Kamin war schon erloschen, nur die Glut flackerte noch manchmal zu kleinen violetten Flammen auf. Es roch nach Holz und ein wenig nach Rauch. Die meisten Gäste waren schon gegangen, wir aber waren noch hungrig aufs Gespräch; so bestellte ich noch einen vom besten Wein, der zu diesem Ambiente passte, einen Brunello vom Steineichenberg. Wir hatten über die Irrungen und Wirrungen der Menschen gesprochen, da fiel wir jener wundervolle Roman von Nikolai Semjonowitsch Leskow ein vom »verzauberten Pilger«
   »Ich habe leider vergessen, was ich dir alles von ihm erzählt habe, aber es war wunderbar! Du musst diesen Roman einmal lesen! Überhaupt die Russen, herrliche Literatur! Nie flach, nie banal, immer bis in die tiefsten Abgründe der Seele tauchend. Kennst du Paustowski? – Wart’, ich hole schnell einen Band!« (Im Traum ist sowas möglich.)
Nach Innsbruck im Traum: links
   Dann kam die reizende junge Bedienung, um nachzuschenken, und du fragtest sie in aller Unschuld, warum denn das Gasthaus »zum wilden Mann« heiße – und ihre Wangen wurden rot wie die Glut im Kamin! Ich beruhigte sie, indem ich sagte: »Schon gut, ich erzähle die Geschichte.« Die aber ist eigentlich nur eine für Manns­bilder, die am Stammtisch sitzen, über dem eine Lampe hängt, die immer, wenn sie zu schwanken anfängt, Anlass zu einer neuen Runde gibt. Es wurde eine berauschende Nacht! –
   Wir waren dann noch unten in Innsbruck, beim goldenen Dachl und standen auf der Brücke über dem Inn, sahen den Mond sich silbern spiegeln im Wasser – und mit seinem Licht, mit seinem Wasser und seinem Geröll verrann auch mein Traum.

Und wer traurig ist diese Nacht, 
Stützt den Kopf in die Hand 
Und sitzt und sinnt, 
Dass Träume nur blieben, was sie eben sind, 
Eben nur Träume, zu mehr nicht gemacht.

...
Und die Sterne in dieser Nacht, 
Und der tröstliche Mond, 
Der seinen ewigen Gang sich nicht nehmen lässt – 
Halt sein Herz der nur fest, 
Der hinauf schaut hoch in die himmlische Pracht,
...
Und feiere das Fest, 
Denn eh ers bedacht, 
Mit Mond und Sternen und Kerzen die Nacht  
   Aus »Nacht der Erinnerung« von Georg Britting

Donnerstag, 10. Januar 2013

Ein bombastischer Blogeintrag
Filippo Tommaso Marinetti
poeta motorizzato

Sintemalen unser Blogberichterstatter heuer noch keine neuen Texte geliefert hat – Urlaub (oder war’s eine Grippe?) sei ihm gegönnt – erlaubt sich die Redaktion, den zahlreichen (:Smiley :–) Lesern dieses Blogs einen fremden Text über einen noch fremderen Dichter darzubieten.
   Ich bin mir gewiss, dass unsere Leser bereits zum Frühstück in der heutigen internationalen Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung den Artikel »Aéroplane Bulgare« von Georgi Gospodinow goutiert haben (2 Smileys ::), und gestatte mir hier das Bild aus besagtem Artikel zu zitieren. Sollten Sie das Blatt schon anderweitig entsorgt haben, finden Sie den ganzen schönen Artikel online hier.  
Der bulgarische Bomber Blériot XI vor dem Start zur Bombardierung von Adrianopel, 1913. Foto a.a.O.
Zang tum tumb
o
il bombardamento di Adrianopoli
ogni 5 secondi cannoni da assedio sventrare
spazio con un accordo tam-tuuumb
ammutinamento di 500 echi per azzannarlo
sminuzzarlo sparpagliarlo all’infinito
nel centro di quei tam-tuuumb
spiaccicati (ampiezza 50 chilometri quadrati)
balzare scoppi tagli pugni batterie tiro
rapido Violenza ferocia regolarità questo
basso grave scandere gli strani folli agita-
tissimi acuti della battaglia Furia affanno
orecchie               occhi
narici                      aperti attenti
forza che gioia vedere udire fiutare tutto
tutto taratatatata delle mitragliatrici strillare
a perdifiato sotto morsi schiaffffi traak-
traak frustate pic-pic-pum-tumb bizz-
bizzarrie salti altezza 200 m. della fucileria
Giù giù in fondo all’orchestra stagni
diguazzare     buoi buffali
pungoli carri pluff plaff          inpen-
narsi di cavalli flic flac zing zing sciaaack
ilari nitriti iiiiiii… scalpiccii tintinnnii 3
battaglioni bulgari in marcia croooc-craaac
(LENTO DUE TEMPI) Sciumi Maritza
o Karvavena croooc craaac grida degli
ufficiali sbataccccchiare come piatti d’otttttone
pan di qua paack di là cing buuum
cing ciak (PRESTO) ciaciaciaciaciaak
su giù là là intorno in alto attenzione
sulla testa ciaack bello               Vampe
vampe vampe                                                       vampe
                  vampe                                                       vampe
                            vampe       ribalta dei forti die-
vampe vampe
tro quel fumo Sciukri Pascià comunica te-
lefonicamente con 27 forti in turco in te-
desco allò Ibrahim Rudolf allò allò
attori ruoli           echi suggeritori
scenari di fumo foresta
applausi odore di fieno fango sterco non
sento più i miei piedi gelati odore di sal-
nitro odore di marcio  Timmmpani
flauti clarini dovunque basso alto uccelli
cinguettare beatitudine ombrie cip-cip-cip brezza
verde mandre don-dan-don-din-bèèè tam-tumb-
tumb tumb-tumb-tumb-tumb -tumb Orchestra                          pazzi ba-
stonare professori d’orchestra questi bastona-
tissimi suooooonare suoooooonare Graaaaandi
fragori non cancellare precisare ritttttagliandoli
rumori più piccoli minutissssssimi rottami
di echi nel teatro ampiezza 300 chilome-
tri quadrati                      Fiumi Maritza
Tungia sdraiati               Monti-Rò-
dopi ritti                           alture palchi log-
gione 2000 shrapnles sbracciarsi esplodere
fazzoletti bianchissimi pieni d’oro Tumb-
tumb                      2000 granate pro-
tese strappare con schianti capigliature
tenebre zang-tumb-zang-tuuum
tuuumb orchestra dei rumori di guerra
gonfiati sotto una nota di silenzio
tenuta nell’alto cielo               pal-
lone sferico dorato sorvegliare tiri parco
aerostatico Kadi-Keuy


Soweit das Gedicht. Am besten man lässt es sich vom Autor selbst vorlesen, hier bittesehr. Marinetti liest nicht ganz wörtlich, die dreihundert Quadratmeter werden zu fünfhundert, aber was macht das schon: Er ist der Autor, er darf.
   Ein PS noch für unsere bayrischen Leser: »vampe« bedeutet da was anderes. Was, woaß ma net, ist wohl onomatopoetisch.

Marinetti auf seinem Isotta Fraschini, fast 100 PS
Mehr dazu und zu hundert Jahren Futurismus hier.

Montag, 7. Januar 2013

Ländliche Idylle (Diorama im Deutschen Museum). Foto Jörn
 Ein Gruß vom alten Jahr zum neuen
– leider etwas spät wegen säumiger Redaktion …

Alle, die Ihr mich umgabt im alten Jahr – oder mir auch nur kurz begegnet sein möget,
das Jahr 2012 reiht sich ein in den Strom vergangener Jahre.
   Beim Übergang vom alten zum neuen Jahr werden viele Menschen das Neue mit Böllerschüssen, Wein und Tanz begrüßen, als würde es das lang ersehnte werden, das alle Wünsche erfüllt – das Alte wird darunter begraben, obwohl es noch alle Finger ausstreckt, um uns einen Moment nur festzuhalten, um uns zu sagen, wer von uns gegangen ist, um uns zu ermahnen, nicht länger die Augen zu verschließen und uns einfach dem Strom der Zeit hinzugeben, um uns aber auch an glückliche Stunden zu erinnern, die es uns schenkte. »C’est la vie«, sagt man, vermeintlich Unabänderliches hinnehmend, oder gar um mit »nach uns die Sintflut« vergnügt zur Guillotine zu schreiten, wie es zu Zeiten der französischen Revolution geschah. Das bisschen Leben ein Dreck!
   Hoppla – ein Kopf!
   Wie viele Jahre stand ich um Mitternacht mit meiner Frau auf unserem oberen Balkon, der den Blick frei gibt über das weit gespannte Inntal mit dem Wendelstein als westlichen Abschluss und der Stadt Rosenheim mit seinen tausend Lichtern im Kontrast zur dunklen Kette der Chiemgauer Alpen. Wie oft mag jeder von uns beiden sich gefragt haben – je älter wir wurden – »ist es ein letztes Mal?« – 2011 war es das. Da stand ich dort alleine – Gäste hatte ich nicht – und hielt es auch nicht lange aus.
   2012 ist das erste volle Kalenderjahr ohne sie. Ohne die ich mir mein Leben nicht vorstellen konnte und wollte! Selbst schon 92 durchlebte Jahre auf den gebeugten Schultern, mit wieviel Vergangenheit beladen, was einmal schillernde Zukunft war und all zu oft doch nur Enttäuschung war über das, was in der Welt geschah.
   In nur wenigen Tagen werde ich wieder alleine dort oben stehen. Der alte vertraute Mond und die tröstlichen Sterne werden noch bei mir sein. Die Mitbewohner des Hauses, zwei Generationen jünger und Kinder im Garten, den ich einst pflegte; man wird »Prosit Neujahr« zu dem Alten da oben hinauf rufen, meinen stummen Gruß wird man nicht hören. Meine Bäume, die ich einst pflanzte, werden meine Gefährten sein, mein Nussbaum, der sich nun schon weit über den Giebel des Hauses erhebt und beim silbernen Mondlicht schwarze Schatten in den Schnee zeichnet, meine Zaubernuss, die mit ihren nicht abgeworfenen Blättern die Blütenansätze schützt, um schon in zwei Monaten die ersten Blüten des neuen Jahres zeigen wird, mein Tulpenbaum, dem die Spitze abgesägt wurde, für Hackschnitzel, wird mich fragend ansehen. Der Igel unter dem Schuppen wird sich vom Lärm der Menschen in seinem Winterschlaf nicht stören lassen. Und ganz weit im Westen – noch weit hintern Irschenberg – da leuchtet München, einst Glanzpunkt im Leben einer jungen Schauspielerin, einst auch Wohnsitz von mir, der ich sie geheiratet hatte, nachdem sie ihren ersten Mann verlor.
   Dort gibt es einen Friedhof mit dem Grab von Georg Britting – ihrem ersten Mann –, dort liegt nun ihre Asche, dort habe ich sie begraben, sie, mit der ich nun schon so lange nicht mehr zusammen lebe.
  An sie (nicht an ihre Asche und das Grab) werde ich denken und ihr bei einem mir von meiner Freundin Marion geschenkten Rotwein aus der Toskana, »Leonardo« geheißen, in Lettern, wie schon so oft, Erstaunliches erzählen, von einem Jahr, das alles andere als traurig war.
   Zu dem Erstaunlichen, das alles zu erzählen ich wohl nicht kommen werde, weil die Geschichte zu lang wäre, zu viele Kapitel hätte, mit hunderten Facetten, mit zu vielen Lettern, hinter deren jeder sich all zu viel verbirgt, Storys – und vor allem Menschen, die mich umgaben und sei es nur mit der heute gemachten Frage, als ich nach vierzehntägiger Erkrankung wieder zum Mittagessen in meiner Post war – und nicht nur von einer der mich alle kennenden Bedienerinnen – »Wir haben sie vermisst« und dergleichen mehr, gesagt bekam.
   Ja, selbst die gebratene Ente, die mir zum zweiten Feiertag am Abend serviert werden sollte – und eine »Ente« blieb – wurde mir heut serviert, knusprig braun – als Abendessen für 5,25 Euro –  von meinem Barockengel Petra, dem fülligen, goldgelockten – mit einem Lächeln!
   Nehm’ – wer sich vermisst fühlt – sie als Symbol.
   Ich sage Euch allen – ja, wirklich allen! – meinen tiefen Dank, einen Dank, der mich sehr glücklich – und mehr noch! – macht!
   Euer Hans-Joachim Schuldt, Euer Hans, Euer Bruder Hans
oder was ich jedem noch sonst sein könnte, bleibe ich Euer Euch am Ende des Jahres mit Dank und den besten Wünschen Gedenkender!

Samstag, 29. Dezember 2012

Mond über Bozen. Blick aus dem Küchenfenster. Foto Jörn
Mondnacht auf dem Lande

Dort steht der erste Stern.
Es hört zu schneien auf
Der Mond kommt auch herauf
Wir sehn ihn gern,

Den goldnen Mann,
Der uns gefällt.
Als Wächter ist er uns bestellt.
Still geht er seine Bahn.
Die Nacht fängt an.

Die dauert lang.
Nun dreht die Uhr im Schneckengang
Die Zeiger um das Zifferblatt.
Mit dunklem Klang
Sagt jede volle Stund sich an.

Die Eul fliegt aus auf Mäusefang.
Wer liebt, hat seinen Platz gefunden.
Gesegnet, wer gut schlafen kann!

O Uhrenschlag,
O Frag und Klag
Durch viele schwarze Stunden
Bis zum weißen Tag.

   Georg Britting

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Für’s neue Jahr

Durch viele schwarzen Stunden
Im nun vergehenden Jahr,
Hat mancher sich geschunden
Und schließlich doch befunden,
Dass es ein gutes war.

So habt in gleicher Weise
für’s neue Jahr Geduld,
Das wünscht mit dieser Mondnacht
euch euer
   Hans-Joachim Schuldt.

–––––––––––––––––––––––––––– 

Wenn wir schon dabei sind. Die bekannteste Mondnacht ist, wenn überhaupt, die Eichendorffs. Doch wozu Mond zum Jahreswechsel? Raketen und frohe Gedanken, Glück zu leben, zu erleben, da zu sein, noch, in dieser gar nicht so schlechten Welt. Ob im Himmel alles besser ist? Egal: Das sehen wir später. Fritz Jörn

– So konnte das wohl nicht stehen bleiben. Es folgen also »mailwendend« Postsribenden vom Autor.

––––––––––––––––––––––––––––
Ich kenne bessere Mondgedichte – nicht nur von Britting!
   Aber vielleicht muss man noch ein wenig an der »Romantik« hängen. Dafür bin ich zu jung!
Zum »Wozu« ein Brittingsches Mondgedicht als Antwort:

Der Mond

Auch wenn er,
Immer zu seiner Frist,
Rund und voll ist, der Mond,
Und das nimmt er genau,
So genau, dass man die Zeit danach misst,
Ist er nicht immer gleich groß.
 

Wenn ein dunstiger Tag sich senkt, da,
Über die Waldschlucht, steigt er herauf,
Riesig und nah,
Rötlich dämmernd, und deckt
Das halbe Himmelsgewölb.
Und der Hirsch, der im Tann sich versteckt
Hielt, tritt hervor, friedlich beglänzt,
Und neigt
Äsend das Haupt.


Aber wenn er im kalten Winter sich zeigt,
Ist er klein und weiß,
Wie eine Lampe aus Eis
Hoch in die frierende Bläue gestellt.
Furchtlos durchwandert sein Licht
Die fremden Bereiche
Der oberen Welt.
 

Und ist doch immer der gleiche,
Der unsere Nächte erhellt,
Und uns und unseren Vätern
Seit tausend Jahren gefällt.
Das tut er wohl auch noch den Spätern.


Soweit der Dichter. Unzeitgemäß schön empfinden wir Heutige das Gedicht, jedenfalls gewisse Stellen mit im Tann sich versteckenden Hirschen. Das Stich- und Reizwort »Romantik« hatte sogar Hans-Joachim Schuldt in Anführungszeichen gesetzt. Was tut’s: Nehmen wir uns heraus, was uns gefällt, wir »Spätern«. fj

Und zur »gar nicht so schlechten Welt!« – In der Tat, schlechter ist sie kaum vorstellbar! Ob es im Himmel besser ist, kann nur beantworten, wer schon einmal hinein geschaut hat und überhaupt weiß, welchen Himmel er meint. Der unseres Mondes ist fast irdisch, und hätten wir ihn nicht, diesen Mond, unsere Erde würde taumeln, mehr als so mancher nach der Silvesternacht. (Das ist was für Pysiker!)
   Muss man ihn nicht loben, den alten Mond – auch und gerade – in einer Mondnacht des Jahreswechsels?
Das erwähnte »Glück zu leben und gute Gedanken«, sind der Anlass zu diesen Zeilen. Und der Wunsch, solche Gedanken mit Ihnen noch lange teilen zu können – Ihr alter Hans-Joachim Schuldt


Wie bei jeder Erwiderung hat stets die Redaktion die Möglichkeit des letzten Wortes. Ich nutze das, respektlos vor Alter (93 vs. 71) und Autor (Britting-Kenner vs. Elektrotechniker).
   Und bleibe dabei, dass die heutige Welt (über die auch ich gern schimpfe …), jedenfalls für uns hier, eine sehr schöne, sehr gute, noch nie so gut dagewesene ist. Die Empfindung ist subjektiv, Beispiele sind kein Beweis, also rate ich einfach nur, sie einfach einmal so gut zu sehen. Dem Blick öffnet sich dann eine weite Flur des Glückes.
   Übrigens taumelt die Erde tatsächlich ein wenig, des Mondes halber, wie ein Tänzer, der statt einer einsamen Pirouette Ringelreihen tanzt mit einem kleinen Mädchen. Ohne etwas Taumel geht das nicht, wenn sich zwei Massen zusammen drehen. Wichtiger sind alle anderen Mondwirkungen auf die Erde, hier in der Wikipedia gut nachzulesen. fj 

Ach, lieber Herr Jörn, verzeihen Sie Ihrem all zu jugendlichem Freund, dass sein Herz voll ist und der Emails gar viele! So kann ich es nicht lassen, zum Thema des Vergänglichen, das ja der wesentliche Inhalt von Eichendorffs Mondscheingedicht ist, Ihnen »Nänie« von Friedrich Schiller zu schicken, das mich vom Stuhl reißt, wenn ich es in den schönsten Hexametern laut lese! Ich möchte ja nicht falsch verstanden werden mit meinem kühnen Wort, dass es bessere »flügelausbreitende und seelenwandernde« (oh, mir wir übel!) traueranzeigenrelevanteste Mondgedichte als das von Ihnen genannte gibt – so absolut nicht mit dem Brittingschen konvertierenden!
 

Nänie
 

Auch das Schöne muss sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,
Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.
Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,
Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.
Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,
Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt.
Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,
Wann er, am skäischen Tor fallend, sein Schicksal erfüllt.
Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,
Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.
Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinen alle,
Dass das Schöne vergeht, dass das Vollkommene stirbt.
Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten, ist herrlich,
Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.
 

Auch Schiller musste früh sterben. »Wen die Götter lieben, lassen sie jung sterben!« Dass ich noch lebe, ist ein Beweis, mich liebten die Götter nie! Aber was für ein Gedicht ist das!
   Es grüßt Sie Ihr enthusiastischer, noch himmelwärts stürmen könnender junger Hans-Joachim Schuldt 

Dienstag, 18. Dezember 2012

Hilf Himmel, die Navi!

Liebe, treue Frau Ixypsilon,
   es ist schon ein sehr seltenes Ereignis, von dem, was man früher Post genannt hatte, heutzutage einen schönen handgeschriebenen Brief zu erhalten, mit einer Marke darauf: »alleinerziehende Mutter mit Kind!« – Sondermarke »sixtinische Madonna«. (So »alleinerziehend« war sie gar nicht, obwohl sie bei Raffael jung und traurig aussieht – das Bild ist klickbar. Adoptivvater Joseph hat sicher tüchtig geholfen, auf der Flucht. Er ist übrigens nicht der alte Herr links im Bild. – fj)
Begeistert sehen die beiden nicht aus. Foto Wikipedia
   Doch o weh, es fehlt die Frau, die solche meisterhafte, feine Handschrift lesen könnte. Eine starke Lupe muss sie ersetzen; sie tut es auch, und ich lese mit Vergnügen Ihre zarte, schöne Schrift! Und aus den schön geschwungenen Zeilen fließt ein goldner Strom von Wärme, wie es das gedruckte Wort nicht vermitteln kann. Die Atmosphäre der Stube wird spürbar, in der wir einst Ihre Gastfreundschaft genossen, und aus der Küche strömt ein erwartungsvoller Duft! Ihr Mann hat längst ein Glas vom besten seiner auserwählten Weine kredenzt und weiß das Gewicht der Gespräche zu bestimmen. Wir sehen uns an und fühlen uns wohl!
   Wie in Brittings Gedicht »Vor dem Gewitter«, darf in allem auch etwas Bitteres sein, in Ihrem Brief das Schicksal Ihres Schwagers.
   Wenn der Kopf versagt, ist es besser man stirbt – das habe ich leidvoll erfahren und ertragen müssen bei meiner lieben Frau. Sie kommen doch alle wieder! Der Bauplan eines jeden Menschen ist bis in alles Einzelheiten in einer genetischen Datenbank gespeichert (ja, jedes Haar auf deinem Haupt ist gezählt! – Lk 12,7Lk 21,18), in einem verächtlich Lappen genannten Abfallprodukt unserer Zellkerne, Kerne, die zusammen eine technische Leistung vollbringen, die alles an unserer technisch so fortgeschrittenen Zeit weit in den Schatten stellen.
   »Das Zeug verbrennt oder verfault, je nachdem, wie wir uns begraben lassen«, sagte mir vor einigen Tagen ein sehr gebildeter Säkularisierter.
   Schon tönte aus seinem Auto-Lautsprecher die Warnung: »Halten Sie sich in der rechten Spur und verlassen Sie nach fünfhundert Metern die Autobahn, wir führen Sie mit einer Umleitung um ein gesperrtes Autobahnstück.« Nach zwanzig Minuten wurden wir wieder sicher auf die Autobahn zurückgeleitet. »Sehen Sie«, sagte er etwas hochmütig, »auf so was kann man sich verlassen!« Ich gebe es zu.
   Ich war sprachlos und konnte mir das beim besten Willen nicht erklären. Also fragte ich schließlich: »Woher wissen die denn so genau, wo wir sind?» – »Vom Himmi drob’n«, sagte der unfromme Mann und zeigte mit dem Daumen in die entsprechende Richtung. Ich staunte noch mehr! »Und das alles ohne auch nur einen einzigen Draht?«, fragte ich weiter. »Na ja, da kreisen im Himmel halt so Dinger umeinander, die sehen uns!« »Ja, sind das denn Engel?«, wollte ich wissen, wird doch immer gesagt, Gott sieht alles. Ich erhielt aber nur ein missmutiges langgezognes: »Naaa! – Sant Satelliten, die schiessan’ s in Himmi eini, und dena müssma sag’n, wohin wir woll’n.«
   Aus dem Lautsprecher ertönt wieder die Stimme: »Sie sind vom Wege abgekommen. Bitte folgen sie unseren Anweisungen!« 
   »Da legst di nieder«, denk ich (Denken kann ich schon etwas Bayrisch, reden weniger – fj), »nicht amal vom Weg abweichen derf man bei dena«. Wenn’s nun aber um die drahtlose Übertragung von ein paar Daten zu Satelliten anderer Bauart als der menschlichen geht,  hört’s Glauben auf einmal auf. Das versteh’ ein anderer!
   Kurz vor Salzburg erreichte uns die Nachricht: »Schlechter Satellitenempfang durch kosmische Störungen«, was von meinem Freund mit dem zum bayerischen Hochdeutsch gehörenden Satz »da leckst mi am Arsch« quittiert wurde. (Politisch korrekt wäre gewesen: »Da legst’ di nieder!« – fj).
   Wir kamen trotzdem an! Aber von Engeln und solchen Quatsch wollte mein Freund an diesem Abend nichts mehr hören. Er hatte sein Navi abgestellt und einen »Engel« im Visier.
   Nun, ich merke schon, das wird kein Weihnachtsbrief! Solche schreibe ich ja auch nicht. Aber ist nicht die Hoffnung, Verstorbene wieder zu sehen, durch das Gesagte ein wenig bekräftigt worden?
   Für mich hat diese Botschaft etwas außerordentlich Tröstliches, zumal wir die Verstorbenen in dem Zustand wieder sehen werden, der ihrem Höhepunkt entspricht, und das dazu noch in einer richtigen Welt. Da wird sich erfüllt haben, was Jesaja prophezeite. Es wird eine Welt kommen, um die die Christen so lange gebetet hatten, eine, in der wir den Krieg nicht mehr lernen und unsere Schwerter endlich zu Pflugscharen umgeschmiedet haben werden. (Der populäre Passus: »Sie werden den Krieg nicht mehr lernen« geht auf einige Übersetzungen des Endes von Jes. 2,4 zurück: »Man … übt nicht mehr für den Krieg«, »… sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen«)

Sie fragen, wie es mir geht, liebe Frau Ixypsilon. Mir geht es sehr gut, jedoch liege ich mit einer Erkältung im Bett und diktiere diese Zeilen meinem Ipad. (Darum hat auch der kleine Redakteur hier so viel zurechtzufummeln. – fj.) Das aber ist kein Grund zur Klage (gewiss nicht!)! Mein Geist ist jung, der Körper verschlissen und alt, wird aber so ertragen und leistet immer noch das Notwendige und teilweise sogar mehr! Was ich nach dem Tod meiner Frau alles erlebt habe und erlebe, klingt wie ein Märchenbuch, wäre es aufgeschrieben. Sie, die Sie sich darum Sorgen machten, wären glücklich und würden sagen, was in einer militärischen Beurteilung über mich einmal geschrieben wurde: »Schuldt weiß sich in jeder Lebenssituation zu helfen!«
   Jetzt werde ich von meinem Bett aus drahtlos einen Befehl an meinen Fax-Drucker schicken. Nur konventionelle Briefe falten und kuvertieren kann er noch nicht. Trotzdem wird die Nachricht schon bald gedruckt (gefaxt) auf Ihrem Tisch liegen.
   »So a Schmarrn, so an saudamischer«, würde mein Freund nun sagen, wären wir hundert Jahre jünger!
   Es grüßt ganz herzlich
Ihr alter Hans-Joachim Schuldt

Und hier meldet sich postscribendo der Redakteur, seinerseits Techniker und andererseits des Oberbayrischen mächtig. 
   Also die Navigationsatelliten des GPS, Global Positioning System, strahlen ganz genaue – und ganz schwache Orts- und Zeitsignale aus: ihren Ort, ihre Zeit. Mehr tun sie nicht. Sie führen uns nicht, sie steuern uns nicht. Da hätten’s viel zu tun! Sie funken bloß, wie die Sternlein funkeln. Das Navigationssystem (»Navi«) im Auto trianguliert sich aus den Satellitensignalen seinen genauen Ort, misst sozusagen den Abstand von jedem Satelliten und zeichnet sich danach auf seiner gespeicherten Landkarte ein. Die Navigationsgeräte funken nicht, schon gar nicht gen Himmel. Für die Ortung gilt: Satellit passiv, Navi aktiv am Rechnen.
   Manch einer meint, mit dem lieben Gott sei’s ebenso. Der funkt nur ganz leise; und eingreifen hernieden, das tut er gar nicht, oder? Was der Mensch draus macht, ist seine Sache. Vor allem seine Vorstellung vom Himmel, die schwankt, d.h. variiert. Schwanken tut sie auch, weil immer weniger daran glauben. Doch da will ich mich jetzt nicht einmischen. 
   Bloß des: »Damisch« nennt man etwas Verrücktes, nicht hingegen rein Erstaunliches. Ein Schmarren – ein Dysphemismus – ist es nicht, wenn einer vom Krankenbett aus faxen kann, und nicht bloß solche machen. Also ist’s auch nicht damisch. Situationsgerechter möchte wohl wieder das »Da legst di nieder« sein, als Ausdruck reinen, ungläubigen Staunens.

Samstag, 8. Dezember 2012

Rhein in Bonn, 7. 12. 12 (Foto Jörn)
Kleiner Kommentar:
»Am nächsten Tag mag’s schneien,
und dann am übernächsten
die Sonne wieder scheinen!«
 

Dezembermorgen

Nun endlich ist es Morgen –
Des Nebels graue Schleier
Verhüllen nicht die Sorgen,
Und auch die dünne Decke
Des neuen Schnees verbirgt sie nicht.

Weiß - aus den Kaminen - steigt der Rauch, Verschwimmt im Grau des Himmels.
Und in den warmen Stuben
- so will es auch der Brauch -
Bereitet man sich vor
Zu einem Fest,
Das seinen Sinn schon lang verlor.

Die Tage sind nur kurz
Und eh man sich versieht,
Bricht an die Nacht.
Was wohl am nächsten Tag geschieht? —
Ach, denkt nicht dran!
Genieß den Tag, den kurzen
Und sage für ihn Dank!

                          Hans-Joachim Schuldt