Goldrand am Glas. Immer etwas kitschig. Foto Jörn |
Ein mystische, schon mehr als weinbeseelte Geschichte
Eine Spätlese sei ich, sagte ein Freund, der mich besuchte.
Es ist einer von jenen, mit denen man vortrefflich – auf höchsten Niveau – streiten – und sich versöhnen – kann, der aber – wie ich auch – weiß, dass zu guter Letzt immer nur einer Recht haben wird – und dass das nicht immer einer von uns beiden sein muss.
Um zu solcher Erkenntnis zu kommen, bedarf es oft eines langen Kampfes, bei dem die Gemüter mit Wein gekühlt und zu neuer Kampfeslust erhitzt werden müssen. Das alles vollzieht sich nicht im heißen Gefecht – was nicht ausschließt, dass die Wogen auch mal Schaumkronen tragen. Wie bei Ebbe und Flut fließt das brandende Wasser unter all dem Schaum wieder mäßigend zurück.
Nun gut, es galt ihm zu widersprechen: »Eine Spätlese, mein lieber Freund, die bin ich nicht, da irrst du, wie kommst du auf so eine Idee?« – »Das ist doch ganz einfach: ›In Vino Veritas‹. Du hast Mme. Veritas spät gefunden, und so bist du eine Spätlese!« – »Aber, mein Lieber, Veritas ist nicht nur in der Spätlese, sondern auch in allen anderen Stadien und Prädikaten«, gab ich zu bedenken, bis er sagte: »Trotzdem: Ein ›Heuriger‹ bist du doch nun wirklich nicht.« Dem stimmte ich zwar zu, aber mit dem Hinweis, dass auch für Heurigen der Veritas-Spruch gilt.
Wir hatten nun alle Prädikate wie Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese bis zum Eiswein für einen passenderen Begriff für meine Person durchkostet (symbolisch nur) und dabei hatten uns auch angehört, was Britting in seinem »Lob des Weines« zum Thema zu sagen wusste:
Labsal des Alters
Weißer Wein, der unruhig übers Glas drängt,
Perlend wie der Wortschwall der Mädchen, wenn sie
Aug in Auge mit dem Ersehnten ihre
Liebe verbergen,
Honigfarbner, koboldisch glühend, wenn der
Taumel rast bei Hochzeit und Taufe, mondschein-
Gelber, zarter, voll von Empfindung wie der
Vers eines Dichters,
Und der grüne, Hoffnungen weckend, grün wie
Morgenduft des kommenden Freudentages,
Ist der rechte Trunk für die Jugend, für die
Glänzenden Männer.
Doch der rote, Herz und die Glieder wärmend,
Dunkler, aus der Landschaft Burgund, der süßen,
Oder sanfter Wein von Bordeaux gehört den
Späteren Tagen,
Der schon still verzichtenden Weisheit – nicht zu
Sprung und Taten reizt er das alte Blut, er
Gibt ihm, das schon langsamer hinrollt, Kraft und
Schönes Gefälle,
Macht das ungesellige Zimmer rosig,
Bringt die schon gegangenen Freunde wieder:
Glück des grauen Hauptes, das einsam hinlebt,
Labsal des Alters!
Ein passendes Prädikat für die gesuchte Bezeichnung einer Person war auch hier nicht zu finden, nur zwei passende Zeilen – es sind die beiden letzten. Die aber geben keine Namensbezeichnung.
Mein Freund hatte das mit einem alten Rotwein gefüllte Glas erhoben, hielt es nachdenklich gegen das Licht und bemerkte plötzlich: »Das Glas hatte ja einmal einen Goldrand.«, dazu sinnierte er poetisch: »Verwehte Spuren glücklicher Zeiten …«. Mir hingegen lief es eiskalt über den Rücken, nie hatten wir Gläser mit Goldrand, immer nur glasklare ungeschliffene, um dem Wein nicht den optischen Reiz zu rauben! So hob denn ich auch mein Glas – und oh Wunder, auch er (der Wein oder das Glas oder gar der Freund, fragt ironisch, doch lieblos nicht, der Redakteur, aber das ist zu dieser fortgeschrittenen Stimmung schon egal! fj) wies Spuren der goldenen Vergangenheit auf! Auf die tranken wir. In goldenem Licht alter Zeiten stiegen sie empor – weintrunkene Erinnerungen.
Als es mir so eiskalt über den Rücken lief (und das beim Wein! fj), fiel mir ein passendes Prädikat ein: Eiswein! Ja, der passt! Er ist die Endstufe. Es sind die Trauben der Beerenauslese, die so lange am Rebstock bleiben müssen, bis sie bei Dauerfrost von mindestens sieben Grad (unter Null) gefrieren. Es zeichnet sie eine harmonische Balance von reifer Fruchtsüße und animierender frischer Säure aus und »ein wenig Bitteres darf auch dabei sein«!
Die Ränder unserer Gläser verfärbten sich an diesem Abend noch mehr, es war ein harmonischer Abend – ich habe ihn jedoch nicht so genossen, wie ich es getan hätte, wären nicht Spuren vom Goldrand zu sehen gewesen, wie jetzt, da er gegangen ist, und ich die Gläser gründlich abgewaschen habe.
Es bestätigt sich hiermit wieder, was Britting sagte: »Kein Bild ist Betrug«!