Samstag, 26. Januar 2013

Noch ’ne Geschichte –
Wein, Ipad, u. a.

Es war schon spät geworden – eigentlich hätte ich, wie einige Gäste vor mir, das gastliche Haus längst verlassen haben müssen. 
   Es war ein Geschäftsjubiläum, Anlass zu einer Feier, in einem gut situierten, kultivierten Haus erster Adresse. Vornehm bis in die Fingerspitzen: die zum Handkuss entgegen gehaltene Hand der tatsächlich schönen Gastgeberin, die dann womöglich der Grund für mein Verweilen gewesen sein könnte.
   Bei all dieser vornehmenden Zurückhaltung trat darüberhinaus dann ein, was man Gemütlichkeit nennen kann. Dazu hatte ein vorzüglicher Frankenwein beigetragen und ein paar gut vorgetragene Toasts, die Anlass waren, Geschichten von Trinksitten zum Besten zu geben. (Ein Toast, meine Damen und Herren neuzeitliche Leser, ist hier nicht ein teilgesintertes Stück Wonder Bread, sondern eine kurze Ansprache, eine kleine Geschichte, mehr oder weniger passend zum Anlass. fj)
   Ob auch ich mit einer solchen Geschichte aufwarten könne, wurde ich gefragt. Das machte mich verlegen, kam ich doch aus einer ganz anderen gesellschaftlichen Schicht. Dann kam mir die Geschichte von Britting in den Sinn. Ich gab zu bedenken, dass die Sache zu lang sei für so einen kurzweiligen Abend. Diese Ausrede verfing beim Hausherrn nicht – er ließ die Gläser noch einmal füllen, reichte eine Kiste mit echten Havannas herum, und, nachdem er die seine umständlich entzündet hatte, sah er sich fragend um im Kreis und sagte fordernd: »Erzählen Sie, die Nacht ist noch lang!«
   Also begann ich:

Ich habe einen guten Freund, der lebt jetzt nicht mehr in Deutschland, der lebt jetzt in England. Wenn ich mit ihm zusammensaß, und wir tranken Wein, so stürzte er das Glas in einem Zug hinunter. Er machte das nicht nur mit dem ersten Glas so, er machte es mit jedem Glas. Er trank nicht mehr als wir, er wartete, geduldig und höflich genau, bis wir andern, den Wein schluckweis trinkenden, auch unser Glas leer hatten. Dann goss er die Gläser voll, und seins trank er dann wieder leer in einem einzigen habgierigen Zug. Ich fand es etwas grobschlächtig, so zu tun, und fand es auffallend bei einem so artigen Mann, der er ist, und einmal sagte ich ihm: Tu langsam! Er sah mich nur lächelnd an, wie einer, der es besser weiß, und legte seine breite, feste Hand auf meine, und sagte: Lass mich so! Und ich ließ ihn so, ohne nach seinen Gründen zu fragen. Er wird diesen Brauch beibehalten haben im fremden Land. Genug zu trinken zu haben, wünsche ich ihm, die Insel ist neblig.
  Dann begegnete mir diese Verhaltensweise wieder. In Köln war ich mit einem berühmten Dichter zusammen. Der hatte seine Gedichte im Rundfunk gesprochen, und nach der Lesung erwartete ihn ein Gelehrter, von großem Namen auch er, der nur gekommen war, von dem Hochverehrten, den er noch nicht von Angesicht zu Angesicht, nur aus seinen Versen kannte, sich das Glück auszubitten, dass er ein Glas Weins mit ihm trinke. Wir gingen in die Wohnung des sonderbaren Schwärmers. Er hatte aus dem Keller den besten Jahrgang geholt. Feierlich-umständlich entkorkte er die Flasche und füllte die Gläser mit dem flüssigen Gold: das Zimmer duftete davon. Er stieß mit dem Dichter, dann mit mir an, und da geschah es: der Dichter stürzte sein Glas in einem einzigen Zug hinunter. Ich erschrak über das Unangemessene. Der Wein war ein hochedles Gewächs, bei einem einfachen hätte es noch angehen mögen. Der gelehrte Herr erschrak sicher nicht weniger wie ich, ließ sich aber nichts anmerken und schenkte dem Dichter das Glas sofort wieder voll. Und wieder leerte es der in einem tiefen Zug. Unser Wirt war zu vornehm, ein Wort darüber zu verlieren. Ich sagte auch nichts, mir war mein Freund in England eingefallen. Dann redeten wir, dieses und jenes, und der Dichter musste zur Bahn, und wir begleiteten ihn. Unerschüttert aufrecht schritt er dahin.
  Ich trinke, auch wenn ich Schnaps trinke, das Glas nicht in einem Zug leer. Das liegt nicht in meiner Natur. Doch weiß ich, dass es beim Schnaps viele mit dem »Aufeinenzug« halten. Bei einem Verleger, der aus dem Schwarzwald ist, gab es einen Himbeergeist, herrlichen, alten, der roch, wie ein ganzer Himbeerschlag riecht, wenn er in der Sonne glüht. Ich nahm, wie gewohnt, meinen Schluck, der Verleger kippte sein Glas kopfüber hinab. So sei es richtig! sagte er tadelnd, jeder Schwarzwaldbauer mache es so. Das gäbe einen glühenden Stoß bis ins Herz.
  Einmal versuchte ich’s auch mit dem »Aufeinenzug«. Es war eine leere Stunde, traurig war mir zumut, ohne Grund, und da fielen mir die Aufeinenzug-Leute ein. Ich hatte eine Flasche Burgunder stehen, die holte ich hervor. Ich goss mir das Glas voll und leerte es, ohne abzusetzen. Und ein zweites und drittes hinterdrein. Eine Feuerwolke umhüllte mich. Es war eine Wärme, die kein Ofen spenden kann. So himmlisches Feuer gibt nur der Wein. Es war ein plötzliches Glück. Die Traurigkeit war fort, und in rosigen Nebeln dampfte die Welt. Die gedrungene Burgunderflasche gefiel mir, und ich legte die Hand um sie, wie um eine Frauenhüfte. Ich begann zu sprechen, obwohl ich allein war und lauschte meinen Worten, die ein andrer sprach. Ich glaube, ich habe Weises gesprochen und Schönes, obwohl es sich nicht reimte. Zuletzt dann sprach ich in Reimen, und die Reime fielen mir zu, wie die Äpfel vom Baum fallen, in der rechten Stunde.
  Seitdem bin ich wieder zu meiner alten Gewohnheit zurückgekehrt. Ich trinke, wie es sich gehört, den Wein in kleinen Schlucken, seine Würze zu schmecken. Aber vielleicht haben die andern recht, mein alter Freund auf der Insel, und der Dichter, der nun schon tot ist.
  

Spülung. Bild Wikipedia
Mein Vortrag wurde einige Male an jenen Stellen unterbrochen, die zum Nachschenken einluden, dann aber wurde ich mit Fragen bestürmt, nach den Namen der Betroffenen. Ja, in der Tat, so wie der Erzähler selbst, sie sind alle tot, doch ihre Namen sind wohl bekannt!
   Die Damen hatten sich alsbald in den Salon zurückgezogen, zu einem Mokka, die übrig gebliebenen Mannsbilder jedoch wussten noch manche Geschichte zu erzählen – natürlich auch die vom wilden Mann, die ich nur angedeutet hatte, die nun aber in ihrer ganzen Breite zelebriert wurde, wobei bei jedem Glöckchenklingen ein homerisches Lachen ausbrach und die Gläser gefüllt wurden.
   Nun ja, die Geschichten wurden nicht besser, als mich der Hausherr fragte, ob ich – nachdem ich die längste Geschichte erzählt hatte, noch mit einer kürzesten beitragen könne.
   Da der köstliche Wein all zu schnell »heruntergespült« wurde, erinnerte ich mich daran, dass es unter den Theaterrequisiten auch etwas gab, was mit »herunterspülen« zu tun hatte – und angesichts der Tatsache, dass es so einiges herunterzuspülen gab, sagte ich: »Ja, aber es ist wirklich sehr kurz!« – »So lassen Sie es uns hören!«
   Es war ganz still geworden, und aus dem Damensalon war auch kaum noch etwas zu vernehmen, was aber dann zu vernehmen war, das hört wer auf das Bild hier oben klickt.

   Vier entsetzte Damenköpfe schauten aus dem Salon herein, bis endlich ein allgemeines Gelächter ausbrach und die Damen nun zu uns kamen, um auch noch Geschichten solcher Art zu hören. 
Alkoholfreies Bier aus dem Iphone
»Nun gut, ich möchte noch ein Glas«, sagte ich. Der Hausherr hatte schon die Flasche in der Hand, als ich ergänzte: »Nein bitte, es sei ein leeres!« Dann hielt ich meinen Ipad über das Glas und ließ ein Einschenken erklingen.
   Man bat mich um noch eine Geschichte. »Nun gut, es sei für heut’ die letzte denn!« Hier. Und mit mit diesem Ruf kam ich recht »früh« nach Haus –  Ihr alter Hans-Joachim Schuldt.