Dienstag, 22. Mai 2012


16. 5. 12 – Lieber Fritz Jörn, 
   treuer Freund und Vertrauter, ich habe schon wieder von einem wundervollem Abend zu berichten, jedoch, das ist ja fast wie beim Nebukadnezar, kommt am Bildschirm die Meldung: »die Batterie ist fast leer«, ach ja bei mir noch nicht!
   Vorgestern war ich mit einer schönen Frau – Sie kennen sie –, es ist jene, die mir so tief in die Augen schaute, im Nobellokal Karner in Frasdorf. Es war ein wundervoller Abend, mit all dem Zauber, den eine schöne Frau verbreiten kann, jedoch in aller Unschuld und in der Form des Textes, den ich nun überlegen muss, wie ich ihn Ihnen schicke. Mein Gott, lieber Fritz Jörn, ich werde immer jünger, und um so schwerer wird es, den Wünschen zu widerstehen. 
   Der Abend begann bei mir, mit einem ganz besonderen Aperitiv, dann wurde ich in einen schicken Sportwagen gezwängt, um dann beim Karner, bei aller Kultur und Perfektion eines Abendmahls, in einem ganz besonderem Ambiente, ein Fest zu feiern, bei köstlichen Gerichten einer außerordentlichen Küche, bei Frankenwein und ganz besonders guten Gesprächen. Der Abschluss des Abends dann bei mir daheim bei einen letzten Glaserl Wein. Ach ja, ich gebs ja tu, es knisterte schon etwas, aber der Rest folgt nun.
Das »Karner Flair Hotel«, neumodisch-falsch ganz ohne Bindestriche dazwischen (wohl weil die inzwischen ›Minus‹ heißen), lässt einen »das Lächeln Bayerns erleben« und was es noch so gibt an Marketingschmalz, siehe http://www.ambiente-privathotels.de/karner-flair-hotel/urlaub-im-chiemgau/ – sagt dazu dieser Fritz Jörn, der fj. Kein Wunder, dass sich unser alter Schuldt fast überpurzelt, sprachlich. Ich lass’ aso.

   Nächstenliebe
Das an Einfachheit und Aussagekraft kaum zu überzeugende Gebot, »Gott zu lieben und seinen Nächsten wie sich selbst«, ist bei näherer Betrachtung ganz schön komplex.

   Bei allen Überlegungen muss dem ersten Gebot die Priorität eingeräumt werden. Das setzt voraus, dass man weiß, was Gott von den ihn Liebenden erwartet und nicht, was der Liebende von Gott erwartet. Dazu muss der Mensch Gott und seinen Willen kennen lernen und nicht Gott den Menschen, den er erschaffen hat und liebt, auch dann, wenn der Mensch das gar nicht bemerkt. Gott weiß auch, dass wir unvollkommen sind, und so erfüllt sich in der Liebe Gottes zu den Menschen, was im 1. Korintherbrief des Apostels Paulus im Kapitel 13 gesagt worden ist.

   Dass wir den Nächsten wie uns selbst lieben sollen, rechtfertigt eine Eigenliebe. Diese aber muss sich dem ersten Gebot unterordnen, also die Liebe zu Gott vor die Eigenliebe stellen. So aber wie die Liebe Gottes nur wirksam wird durch die Erwiderung der Liebe, ist das bei der Nächstenliebe auch. Das heißt nicht, dass nicht erwiderte Liebe gebieten würde, den Nächsten nicht zu lieben, nur bliebe ihr das Glück sich gegenseitig Liebender verlustig.

   Hier nun stellt sich die Frage, was die Liebe vom Anderen erwartet. 

   In der Beziehung zwischen Mann und Frau ist das besonders schwierig, weil diese Beziehung fast immer unter dem Spannungsverhältnis der Geschlechter besteht, die ja auch gottgewollt ist, aber eben nur einen Sektor der Liebe betrifft und nicht die Liebe in ihrer ganzen Kausalität! 
   Wenn die Liebe nach Vers 4 des genannten Korintherbriefes nicht eifersüchtig ist, so ist sie es eben deshalb nicht, weil man als Mann auch eine Frau als Nächste lieben kann (nein muss!) ohne sie zu begehren! 
   Auch Christen sind nicht gegen die Begierde der Augen und die Begierde des Fleisches immun, aber die Nächstenliebe wird ihnen die Kraft zur Beherrschung geben, und sie nicht den Wunsch zur Leidenschaft steigern lassen. So schön auch die körperliche Vereinigung zwischen Mann und Frau ist, so währt sie nur sehr kurze Zeit, endet in seliger Müdigkeit und fadem Erwachen. Wenn Mann und Frau »ein Fleisch« werden, wie anders als mit Schmerzen kann man das trennen? Es sei denn, es findet in der Ehe Bestand. Doch die Nächstenliebe triumphiert auch hier, es gibt sie zwischen Mann und Frau, und auch dem Begehren wird Preis gegeben, in geistiger Gemeinsamkeit im Bestreben nach der Liebe zum Nächsten. 
   Der, der uns erschaffen hat, Jehova Gott, er kannte uns und kennt uns, und wer meint, das alles sei nur Prüderie, der lese das »Hohe Lied«!
   Was gibt es Schöneres als die Liebe, in der am Anfang genannten Form?
Von meinem iPad gesendet
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 
17. 5. 12 – Grüße aus Solln 
… Nach einem Aperitif und gutem Gespräch brausten wir mit ihrem Sportwagen zum Karner nach Frasdorf, wo wir ausgiebig schlemmten, einen Frankenwein genossen und über Gott und die Welt sprachen. Wir waren die Letzten und da wir uns noch was zu sagen hatten, setzten wir den Abend bei mir in der Reception fort, bis Mitternacht. Meine Frau Brandmaier sorgt rührend für mich und lässt mich nicht mit ungebügelten Hemden laufen. So lässt man mich nicht verkommen! 
   Manchmal gehe ich jetzt auch abends in die [Rohrdorfer] Post und immer gibt es Kontakte. Vor ein paar Tagen mit einem jungen Dackel am Nebentisch, der sich an meinem Brotzeitteller beteiligte. »Meine« Maria bedient mich immer besonders gern, und wir begrüßen uns auch mit Händchen geben. Als ich sie neulich fragte, ob sie Kinder habe, sagte sie etwas verlegen und leicht errötend »nein, noch nicht, damit warte ich noch etwas«, auf meine Erwiderung: »Aber einen Mann haben sie doch?« brach schallendes Gelächter durchs Lokal, anscheinend hatte man das als eine stilles Angebot verstanden. So kann man überschätzt werden!
   Gesundheitlich geht es mir immer besser, seit dem ich regelmäßig die Tabletten vergesse. Meinen Arzt habe ich seit Inges Tod nicht mehr gesehen.
   Von »meinem« Griechen, den ich jeden Sonntagmittag aufsuche, muss ich ja nicht mehr berichten, das alles ist ja nun schon öffentlich. 
   Technisch bin ich auf dem letzten Stand, mein Ipad ist mein ständiger Begleiter, und niemand ahnt, was man damit alles machen kann. Heute führte er mich auf verschlungenen Wegen zu jenem Haus drunten am Inn, wo ich mich labte. Von dort aus griff ich auf meinen PC daheim, um den Gastgebern noch Brittings Inn auszudrucken. (So überliste ich das Ding sogar mit Windows. Mein Kopf ist um so viel besser dran als meine Beine, die bedürfen des Stocks, dafür gehts mit dem Nissan noch flott voran und lustig durch die Kurven, das Langsamfahren mag er nicht. Getüft ist er jetzt bis zum Jahr 2014.
  
Negativ ist lediglich, dass die Flasche schon wieder leer ist. Ich hatte sie gestern im Gut Filzenhofen gekauft, dem eine Metzgerei angeschlossen ist, die auch einen guten österreichischen Wein im Angebot haben. Das Gut samt Metzgerei leitet ein Glaubensbruder von mir, der mir die Internitas der Metzgerei zeigte. In einem auf zwei Grad abgekühltem Raum hingen  ca dreißig geschlachtete Jungbullen zum Ablagern, damit das Fleisch mürbe wird. Eine eigene Räucherei sorgt fürs vorzüglich Geräucherte. Ich durfte dann noch der Schlachtung beiwohnen, nicht ohne Mitleid für das arme junge Vieh, das noch so wenig von den Freuden eines jungen Bullen genossen hatte. Als er einen Schritt zurück gehn wollte, senkte sich sogleich eine Eisenstange hinter ihm. Er jedenfalls hob ein letztes mal seinen Schwanz und schiss auf sie.
   Bald darauf dann hörte ich den Schuss, der seinem Leben ein Ende setzte. Nun hat er noch drei Wochen Zeit um mürbe zu werden, bevor ihn der Metzger kunstgerecht zerlegt.
   Man stelle sich vor, da gibt es doch tatsächlich Leute, die mittels Inkarnation möglicherweise so ein Bulle werden wollen! Nein danke! Ich äße dann ohne jeden Appetit.
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
19. 5. 12 – Liebe …, ich sitze in der Zirbelstube der Post in Rohrdorf, wo wir vor über einer Woche das Fest für meine Frau feierten,  weils mich aus dem Haus trieb, nachdem ich mein einsames Abendmahl eingenommenen hatte. 
   Es gibt hier einen kleinen Tisch, für zwei Personen vis-à-vis, an dem saß ich oft mit meiner Frau. Auch noch, als ich sie im Rollstuhl herfahren musste, und sie sehr ungeduldig war. Vor sieben Monaten ist sie gestorben. Aber mit vielen anderen Frauen saß ich seit dem dort, noch nie mit Dir! Wie hat sich mein Leben verändert! Es ist, als hätte sich eine Tür geschlossen. Was hinter der Tür liegt, gerät in Vergessenheit, die Zeit legt sich wie ein Staubschleier übers Vergessene, der Glanz erlosch, Licht legt sich nur noch matt auf die Erinnerung. Die Welt rast weiter in ihrer irrsinnigen Fahrt, lässt keine Zeit zur Besinnung – und auch nicht zum Einhalten. Präsidenten werden abgelöst, Staaten gehen pleite, der Waffenhandel blüht, geschossen, erschossen wird immer. Ein höchst rentables Geschäft in »unserer« friedlichen Welt, die wir vom Profit »gut« leben! 
   Dagegen steht dann ein Tag wie heute, wie er nicht schöner sein konnte. 
  Ich hatte Besuch und las [Georg Brittings] »Die kleine Welt in Bayern« vor:

Der Himmel ist hoch und weit über das Land gespannt,
Dass alles unter ihm Platz hat: die weiße Felswand,
Der Kirchturm, Zigeunerpferde mit farbigen Bändern
Im Schopf, Hirsche, Nachtigallen und Stare
Und der spiegelnde, blaue und klare
Waldsee mit den schilfigen Rändern.
Liegt ein Kerl im Moose,
Schlägt die Augen auf und im kleinen Stern
Sammelt er alles, den Kirchturm, die Felswand, den Himmel und sein Begehrn
Geht darüber und über den Himmel hinaus ins Große und Grenzenlose.
                                                                
Wer sieht das noch? Was ist über den (Plural!) Himmeln?
   Mir las dieses Gedicht meine Frau vor, als wir uns nach 23 Jahren wieder sahen, in einer kleinen , bescheidenen Konditorei im Lehel in München.
   Ich höre es noch immer!
   Aber ich erzähle von mir, anstatt nach Kater und Mann zu fragen. …
   Jetzt habe ich mir ein zweites Viertel eines guten Frankenweins bestellt, wozu ich mir – zum Erstaunen der Bedienung – zwei Scheiben trocken Brot bestellte. Brot und Wein, das ist doch klassisch -antik! 
   Neben mir am Tisch wird geprasst, ein Mann mit zwei Frauen, die er zur Schlachtreife füttert. Ich stell mir gerade vor, wie die in fünfzig Jahren aussehen werden (»In fünfzig Jahre ist alles vorbei«, singt Otto Reutter), falls sie dann noch leben. Nein, nicht schöner! Obwohl es eine weibliche Altersschönheit gibt, die faszinierend sein kann und durchaus von erotischem Reiz! 
   Weißt Du eigentlich, dass es drei Arten der Liebe gibt? Wenn nicht, sollte das unsere nächste Lektion sein – wenn Du magst! 
   Habe ich Dir denn mein Erlebnis im Gut Filzenhof  erzählt, bei dem ich der Schlachtung eines Jungbullen zusah? – Ach ja, so nah sind sich Liebe und Tod! Für ihn galt sicherlich nicht die Weisheit: »Wen die Götter lieben, lassen sie jung sterben«, wie auch mir nicht, der ich kein Jungbulle mehr bin.
Wilhelm Leibl, 1881, Drei Frauen in der Kirche
Hamburger Kunsthalle, Bild aus der Wikipedia
   Jetzt bin ich ganz allein in der Stube, aber meine Anneliese genehmigte mir noch ein drittes Viertel. Sie ist aus Bad Aibling und kennt sogar den Maler Leibl und freute sich sogar, nach ihm gefragt zu werden. Sie sieht aus wie eine der drei Frauen in der Kirche, die er gemalt hatte. Wie doch ein Wort aus der Anonymität reizen kann! 
   Doch, liebe …, ich darf Dich ja nicht zu meiner Zuhörerin zwingen mit meinem Altersgeschwätz, es sei denn, es freut Dich ein wenig! Dann hätte sich auch dieser Abend gelohnt!
   Es grüßt Dich und Deine männlichen Genossen, Dein alter – noch einmal im jetzigen geistigen Zustand –  jung sein wollender (die physische Jugend könnt auch nicht von Schaden sein) – leider alter Hans.